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Poster – Die Geburt der Nation (1973)

Notizen zu Die Geburt der Nation (1973, Klaus Wyborny)

Wie verändert sich unser Blick, wenn wir ein repliziertes Bild wahrnehmen, wenn wir dieselbe Situation, aus derselben Perspektive zu sehen bekommen. Welche Dinge verschluckt das Auge, welche Fragmente entstehen aus einer Unwissenheit, aus dem toten Winkler der Wahrnehmung. Warum finden wir nie Schatten, aber Farben und Umrisse, Bewegungen und optische Täuschungen. Warum suchen wir in der Finsternis, aber nie im hellen, in der Sonne sucht niemand – weil die Netzhaut brennt, weil der Mensch zu wissen glaubt, wie sich Licht bewegt – nichts weiß diese blinde Kreatur, Rabe und Krähe der Nacht, Toter bei Tag. Wyborny legt Bilder übereinander, ineinander, zwischen Folien und Farbpaletten, überschwemmt Kontraste und abstoßende Reaktionen, das rote Grün in dem toten, ausgelaugten Bild. Das Auge so lange korrumpieren, bis es seine eigene Existenz leugnet und unsere Erinnerungen mit Tusche beschmiert. Deine Geburt trügt, morgen schon ist sie vergessen - Weichspülerlinse. In diesen Irrungen mutmaßt unser Auge, Reaktionen würden geschehen, wenn sich die Oberfläche ändert, wenn die trockene Wüste einem Blumenbeet gleichsieht, wenn Bäume keine Äste, aber Arme tragen. Aber natürlich ist der geschulte Blick ein Verräter, mahnt er Vernünftigkeit - Flucht ins abgesteckte Gehege eines allwissenden, wissenschaftlichen Blicks.

Und keine Sprache hält stand, sie löst sich auf, entschwindet in Mimiken und Gestiken, in hilflose Blicke, die nach Worten ringen. Einzig der Bach transportiert das Wort, der Wind, vielleicht auch der Blitz, den man im Bild vermutet. Mir kommt es vor, dass Blitze aus dem Unmittelbaren Lichteinbruch auf schwarzer Fläche entstehen. So kann eine Taschenlampe bei Nacht den kräftigsten Blitz nachahmen, ein Streichholz im Sarg – der Raum bedingt das Phänomen, das Auge wird zum ersten und letzten Empfänger.

Wyborny reißt seine Bilder aus der Griffith’schen narrativen Logik, manipuliert sie zu autarken Gegendarstellungen, die auch den Empfänger direkt attackieren; jede Position hebt sich auf und kratzt an der logischen Deutung, der bestehenden, kohärenten Wahrnehmung. Die Enden rotieren, keine Ebenen, die zu Flächen werden, Filter über Filter, bis man sich die Schatten, die man zu Beginn noch suchte, imaginiert, in den letzten Lichtfragmenten, die einem das falsche Auge noch bietet. Und so bleibt man Knecht seiner Sinne, sprachlos, ein lebloser Körper im falschen Bild.