„Die Poesie macht einen Versuch nach dem anderen, als Wirklichkeit zu wirken, was ganz unpoetisch ist.“ – Søren Kierkegaard
„We must make films politically.“ – Jean-Luc Godard
„And he [Adolf Hitler] took my hand and said: ‘Leni, it’s all yours. Anything you want.’ And then he kissed me on the cheek. It was the greatest moment of my life. It was the Triumph of the Will.“ – Monolog aus ANGEL CITY
Stadtbilder
Jon Jost ist eine seltsame Figur in der kontemporären Filmlandschaft. Seit seinem ersten Kurzfilm PORTRAIT, der 1963 erschien, veröffentlichte der amerikanische Experimentalfilmer unzählige Kurz- und Langfilme, blieb immer unabhängig, inszenierte Essay- wie Spielfilme, hielt sich dazwischen auf, wechselte von analog auf digital, brachte James Benning dazu, eine Hauptrolle zu übernehmen (COMING TO TERMS, 2013). Dennoch ist er einer der großen Unbekannten, sein Werk findet abseitig statt, Kinovorstellungen sind rar, allenfalls lassen sich seine Filme bei Vimeo mieten oder kaufen. Es ist in diesem Zusammenhang nicht verwunderlich, wie fundamental politisch seine Werke ausfallen, beinahe bestätigt fühlt man sich durch dieses Nischendasein: Amerika, die Welt, beide sind sie nicht bereit für diesen radikalen Künstler, waren es damals nicht, sind es heute nicht. Grund genug, sich Gedanken zu machen, Josts (filmischen) Gedanken zu folgen. Was erzählt uns dieser Mensch, dieser „amerikanische Godard“, wie er immer wieder (degradierend) genannt wird?
Hollywoods Leni Riefenstahl
Doch langsam – wir sollten nichts überstürzen, zu umfangreich ist dieses (bisherige, es kommt ja immer noch mehr, viel mehr; zum Glück!) Lebenswerk, zu umfangreich ist eigentlich bereits ein einziger Film, zu klug, zu idiosynkratisch, zu voll und zu ungestüm, um ihn auch nur bändigen zu wollen. Daher soll uns eine Szene genügen, ein rund zehnminütiger Monolog aus seinem zweiten Langfilm, aus ANGEL CITY, der 1976 erschien, man müsste eigentlich sagen: auf die Welt losgelassen wurde.
Gesprochen wird dieser wundervolle Text von Winifred Golden, es ist ihre einzige Filmrolle. Geframed wird dieses Segment als Screen-Test für eine Hollywoodproduktion, Regie wird „Hollywoods hottest director“ führen. Das Thema: ein Remake von TRIUMPH DES WILLENS, augenscheinlich begleitet von einer einrahmenden Erzählung der persönlichen und professionellen Zusammenarbeit Riefenstahls und Hitlers. Der Monolog wiederholt sich dabei mehrfach, eine Stimme aus dem Off unterbricht, lässt Goldens Figur von vorne beginnen, verlangt andere Tempi, andere Stimmlagen. Mantraartig wird uns Zusehenden dieser absurde Text wieder und wieder vorgesetzt; er verändert sich nicht, nur die Betonung wird anders, die Mimik, die Expression. Immer unsicherer wird die Sprecherin, bis sie am Ende gar Textstellen vergisst, resigniert aufgibt: „Why don’t you shut it off?“
Warhols Screen Test
Unweigerlich muss man an Andy Warhols Screen Tests denken, immer wieder blinken links und rechts des Bildes „Testing“-Schriftzüge auf. Schauspiel sehen wir hier, einen Zustand, der gerade erst wird, sich in dieser Transformation begreift. Gleichsam ist es eine Versuchsanordnung im doppelten Sinne: für uns Zusehende ein entstehender, geleiteter Denkraum, der sich selbst reflektiert, der nicht abgeschlossen wird, höchstens künstlich am Ende, als erzwungener Ausweg aus der Szene. Andererseits hat dieser Raum etwas Bedrohliches: aus Hollywood-Perspektive wird die Wirkung getestet, die Schauspielerin als Laborratte auf ihre Fähigkeiten überprüft. Die angelegte Skala: Wie sehr kann sie sich in Leni Riefenstahl einfühlen, inwiefern wird es ihr gelingen, jene historische Schreckensgestalt der Historie zu entreißen, neu zu personifizieren, zu aktualisieren im Sinne eines verfälschenden Re-enactments, im Sinne eines Rückgriffs auf das Weltgeschehen, das so brav bei sich bleiben darf, das als abgeschlossen gelten kann – gerade wegen des modernen Bezugs. Sehen wir Leni Riefenstahl als junge Frau im Kino, im Gespräch mit Adolf Hitler, dann wiederholt sich die Geschichte, wiederholt sie sich genau für die Länge des Films, darf anschließend brav zu den Akten gelegt werden. Ja, so war das damals, diese Menschen haben existiert, und als solche werden sie bewahrt: als historische, allzu menschliche Objekte, die sich immer wieder aus dem Hut zaubern lassen, mit denen man weiter Geld verdienen kann, die aber genauso gut zu jeder Zeit zurückgesteckt werden können in jenen Hut, der sich wie ein Geschichtsbuch auf- und zuschlagen lässt, der ungefährlich bleibt und artifiziell. Ja, ja, die Vergangenheit mit all ihren alten Anekdoten: „And then I was having yoghurt with Adolf and Eva, up in the nest.“
This movie you're going to see costs about 6000 dollars
Der Hintergrund wechselt beständig während dieses Vortrags, wird abgezogen, um einen neuen zum Vorschein zu bringen. Lediglich Farben setzt Jost dafür ein, hinter Gelb verbirgt sich Grün, dahinter wiederum Rot, am Ende ist die Schablone dunkelblau. Brüche also, die sich wie die Wiederholungen in unsere Auffassung graben, alles hinterfragen, ohne den Text wirklich zu ändern. Immer neu muss sich der Zuseher positionieren, wird aus seinen Gedanken gerissen, dem Bild wieder näher geführt.
Ästhetische Interventionen
Ausruhen ist verboten, eine eigene Positionierung ist unausweichlich – und wenn es nur die Irritation ist, wenn es nur das Wahrnehmen des Zusammenspiels von Schminke und Hintergrund ist. Wir werden manipuliert, und das zu jeder Sekunde; selbst in der Dekonstruktion Hollywoods können die Bilder nicht besiegt werden. Dem Film (und besonders diesem) wohnt eine Mystik inne, die nicht versachlicht werden kann, nicht theoretisiert, die uns bereits affiziert hat, bevor wir es gemerkt haben.
„It’s true Herman, I must confess: The only thing I ever cared about was the form, the movement, those beautiful aryan bodies running, diving. If only I’d had color-film to show those blue eyes. Oh what art. Thighs, hips, I thought I had seen everything.“ – „And he [Hitler] was talking about the same thing: The form, the movement.“
Diese Passagen stehen ganz am Anfang des Monologs, sind ein Schlüssel zu Josts Film, der immer wieder berauschende, mal kontemplative, mal poppig überinszenierte Sequenzen mit einer von außen kommenden Audiospur karikiert. Es ist ein materialistischer Blick, das Aufbegehren gegen die trügerische Schönheit des Kinos. In seinen Filmen gibt es schon keine „Wirklichkeit“ mehr, um – ein wenig verfremdend, zugegebenermaßen – auf Kierkegaard zurückzukommen. Das Kino, bewegte Bilder überhaupt (schon lange gibt es TV-Werbung), sind längst ein Teil davon, sind beinahe noch realer, geben die Realität vor, konstituieren sie. Es passt nur, dass ANGEL CITY als Noir-Film angelegt ist, diesen filmischen Sehnsuchtsort der Schatten und Bewegungen, der aufrechten Männer und verführerischen Frauen, der – so viel erklärt, so wahr er ist – doch gleichzeitig so verlogen ist, so in seinen Strukturen und immer gleichen Abläufen verhaftet, der die Welt erklären will, indem er sie fiktionalisiert.
Los Angeles is not Los Angeles
Und so treffen sie sich doch, Kierkegaard und Jost, indem letzterer die (reine) Poesie schlussendlich ablehnt, sich ihr nicht final verschreiben kann. Nicht in dieser Welt, nicht in L.A., dem Dreh- und Handlungsort von ANGEL CITY. Josts Filme, das sind Waffen – Waffen gegen das Establishment, Waffen gegen eine anschmiegsame, „freie“ Ästhetik, gegen ihre Formen und Bewegungen, gegen eine Eigenständigkeit, eine Abgeschlossenheit der Bilder. Und doch liebt er sie, liebt die tote Schöne vor dem sauberen, blauen Pool, liebt die roten Lippen seiner Schauspieler, liebt die Cowboystiefel und Zigaretten seiner Hauptfigur. Es ist kein Anti-Kino, das Jost betreibt, es ist ein hingebungsvolles, zutiefst entsetztes, staunendes Revoltieren gegen dessen Verselbstständigung, gegen dessen Nutzbarmachung und politische Verfremdung.
All diese Kritik legt er offen, legt sie diskursiv über, unter, neben und auf seine Bilder, die es schlussendlich sind, die sich behaupten, die trotz allem gewinnen, die sich nicht final ausstechen lassen. Doch wir sehen sie nicht mehr unschuldig, nicht sie haben sich geändert, sondern unsere Einstellung, unser Blick. Die Welt wurde in sie hineingeholt: die Wirtschaft, der Kapitalismus, der Faschismus. Sie selbst, für sich genommen, finden außerhalb davon statt, sie brauchen nichts davon; sie triumphieren als „der Doppelgänger […], der im selben Moment, in dem er sich präsent erweist, zugleich als fremd und einem unerreichbaren Anderswo zugehörig sich enthüllt“ (Sarah Kofman).
Wie schade, dass wir sie aus unserer Welt erblicken müssen, dass unsere Augen unserem Körper gehören, und jener immer einem Land, einem Staat, einem System. In Josts Filmen ist die Kunst nie losgelöst von diesem Körper, und sie wurde schon vor langer Zeit ihrer Unschuld beraubt. Die Form kann nie wieder nur Form sein.
Nachgeschobene Impressionen
Rote/Roteste Lippen
Kein Marlowe
Tote am Pool